Dr. Richard Ippisch
"Schlafen Sie gut ?"
Viele Patienten können diese Frage im ärztlichen Gespräch nicht ohne Einschränkung bejahen. Neben einer Reihe von Erkrankungen können eine Vielzahl äußerer Störfaktoren, aber auch manche falschen Verhaltensweisen zu Schlafstörungen führen.
Gestörter Schlaf macht krank
Schlafgestörte sind tagsüber müde, ihre berufliche Leistungs- und Arbeitsfähigkeit ist um etwa ein Viertel vermindert, 60% leiden an Gedächtnisstörungen. Sie fehlen deutlich länger am Arbeitsplatz, suchen 2-3mal so häufig einen Arzt auf und müssen doppelt so häufig stationär behandelt werden. 20-30% entwickeln nach Jahren eine Depression, die Rate der Alkoholkranken ist unter Schlafgestörten doppelt so hoch wie bei Gesunden. Etwa ein Viertel aller Unfälle auf Autobahnen ist durch unwillkürliches Einschlafen bei Übermüdung bedingt.
Diese Zahlen belegen die individuelle, aber auch die sozioökonomische Bedeutung von Schlafstörungen. Keinesfalls handelt es sich dabei nur um eine harmlose Befindlichkeitsstörung.
Falsche Vorstellungen zum Thema Schlaf sind häufig
Zu kaum einer Körperfunktion existieren aber auch so viele Missverständnisse und falsche Vorstellungen wie zum Thema Schlaf. Einige davon sollen hier vorgestellt und korrigiert werden.
"Jeder Mensch braucht regelmäßig 7-8 Std. Schlaf pro Nacht, um ausgeschlafen zu sein."
Falsch. Die Qualität des Nachtschlafs bemisst sich nicht nach seiner absoluten Dauer. Entscheidend ist vielmehr, ob der Einzelne sich morgens ausgeruht und wiederhergestellt fühlt und tagsüber keine vermehrte Müdigkeit auftritt.
Manche Menschen brauchen hierfür nur 4 Stunden, andere bis zu 10 Stunden Schlaf pro Nacht. Es kann also jemand, der jede Nacht regelmäßig 8 Stunden schläft, aber eigentlich 10 Stunden Schlaf braucht, ernste Zeichen eines chronischen Schlafmangels entwickeln.
"Der Schlaf vor Mitternacht ist der beste Schlaf"
Es gibt ausreichend Belege dafür, dass Schlaf unabhängig von der Zeit gleichermaßen erholsam ist. Bei älteren Menschen können beispielsweise 4 Stunden Nachtschlaf und zwei "Nickerchen" tagsüber von jeweils 1 Stunde Dauer (z.B. mittags und abends vor dem Fernseher) schon den gesamten Schlafbedarf decken. Wenn diese Person - was bei älteren Menschen nicht selten vorkommt - regelmäßig schon um 21.00 Uhr ins Bett geht, ist sie eigentlich um 1:00 Uhr morgens ausgeschlafen, wird aber glauben, an einer nächtlichen Schlafstörung zu leiden.
"Körper und Gehirn brauchen den Schlaf, um sich von den Belastungen tagsüber zu erholen."
Für sämtliche Körperfunktionen wäre körperliche Ruhe ohne Schlaf völlig ausreichend, um sich zu regenerieren. Das Gehirn ist in den Schlafphasen des sogenannten REM-Schlafs (von "rapid eye movements", benannt nach den hierbei auftretenden, schnellen Augenbewegungen) sogar noch aktiver als tagsüber.
Wahrscheinlich nutzt das Gehirn den Schlaf statt zur Erholung eher dafür, tagsüber aufgenommene Informationen neu zu ordnen und zu verfestigen. Trotzdem ist die genaue Funktion des Schlafs nach wie vor nicht bekannt.
"Schweres Essen führt zu vermehrten Träumen oder Albträumen"
Die Erinnerung an Träume oder Albträume hängt alleine davon ab, ob man während des Traums erwacht. Veränderte Essgewohnheiten können über ein gehäuftes, nächtliches Erwachen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, sich an aufgetretene Träume zu erinnern. Die Häufigkeit des Auftretens von Träumen und deren Qualität wird dagegen nicht verändert.
"Körperliche Betätigung verbessert den Schlaf"
Körperliche Anstrengung tagsüber verbessert NICHT den Schlaf. Extreme physische Belastung v.a. kurz vor dem Schlafengehen kann über eine Erhöhung der Körpertemperatur stattdessen sogar den Schlaf beeinträchtigen.
Schlafmittel erst nach Verhaltensänderung und neurologischer Untersuchung !
In vielen Fällen lässt sich ein gestörter Nachtschlaf allein durch Umstellung falscher Verhaltensweisen bessern oder sogar beheben.
Schlafmittel sollten dagegen erst nach mehrwöchigem strikten Einhalten der nachfolgend aufgeführten Regeln und weiter fortbestehender Schlafstörung zum Einsatz kommen. Die Anwendung sollte auf maximal einige Wochen begrenzt bleiben, sonst droht eine dauerhafte Abhängigkeit.
Eine gründliche neurologische Untersuchung sollte vorher zudem eine mögliche, krankhafte Schlafstörung ausschließen.
Was viele nicht wissen: v.a. bei älteren Menschen können regelmäßig eingenommene Schlafmittel zu Gedächtnisstörungen und einer Beeinträchtigung des Gleichgewichts bis hin zu gehäuften Stürzen führen.
Einfache Regeln zur Verbesserung des Nachtschlafs
Die moderne Schlafforschung rät zu folgenden Verhaltensregeln:
- Tagsüber nicht schlafen !
Die nächtliche Schlafdauer wird z.B. durch den Mittagsschlaf verkürzt. - Nicht zu früh ins Bett gehen !
Ältere Menschen sollten in der Regel nicht vor 23:00 Uhr ins Bett gehen, wenn sie morgens zu früh aufwachen. Meist sind im höheren Alter 5-6 Stunden Schlaf ausreichend. - Im Sonnenlicht spazieren gehen !
Frühe Müdigkeit am Abend bekämpft man am besten durch einen Spaziergang in der Sonne am späten Nachmittag. - Erst ins Bett gehen wenn man wirklich müde ist.
Andernfalls ist eine Einschlafstörung geradezu vorprogrammiert. - Das Bett ist nur zum Schlafen da, d.h. nicht essen, lesen, fernsehen !
Guter Schlaf hat viel mit Rhythmus und Gleichmäßigkeit zu tun (s.u. Einschlafritual). Das Gehirn kann das Zubettgehen reflexhaft mit jetzt bevorstehendem Einschlafen verbinden oder sich daran gewöhnen, dass man sich im Bett auch aufhalten kann, ohne zu schlafen.
- Fernsehen und Bildschirmarbeit mindestens in der letzten Stunde vor dem Zubettgehen vermeiden.
Die rasch wechselnden, hellen Bilder beim Fernsehen und der Blaulichtanteil von modernen PC- und Smartphone-Bildschirmen aktivieren das Gehirn und erschweren das Einschlafen. - Vor dem Schlafengehen immer das Gleiche machen ("Einschlaf-Ritual")
Setzen Sie sich 30-45 Minuten vor dem Zubettgehen immer in den gleichen Sessel, lesen Sie ein wenig aufregendes Buch oder eine Zeitschrift (nicht fernsehen s.o. !), trinken Sie ein warmes Glas Milch mit Honig (altes Hausmittel) oder auch ein kleines Bier (zuviel Alkohol stört den Schlaf !). Gehen Sie ins Bett, wenn Sie Müdigkeit verspüren, machen Sie sofort das Licht aus und versuchen Sie einzuschlafen. - Bei Einschlafschwierigkeiten nach 10 - 20 Minuten das Bett und das Schlafzimmer wieder verlassen, dann wieder weiter w.o. und...(Nicht herumwälzen und ins Grübeln kommen !)
- ...erst dann wieder hinlegen, wenn man wirklich Müdigkeit verspürt, das Ganze notfalls mehrmals wiederholen !
Man kann sich das Einschlafen so richtiggehend antrainieren. Da man außerdem weiß, was zu tun ist, vermeidet man die sonst sich einstellende Verzweiflung ("Mensch, ich muss doch morgen fit sein"), die ihrerseits das Einschlafen verhindert.
- Jeden Morgen möglichst zur selben Zeit aufstehen (Wecker stellen !)
Ob man sich ausgeschlafen fühlt hat ebenfalls viel mit dem Schlafrhythmus zu tun. Geht man viel später ins Bett und steht am nächsten Morgen auch viel später auf als sonst, wird man sich den ganzen Tag beeinträchtigt fühlen, obwohl die Schlafdauer eigentlich ausreichend war.
- Richten Sie eine "Sorgenstunde" ein !
Wenn Sie regelmäßig im Bett über Sorgen und Probleme nachgrübeln, richten Sie eine "Sorgenstunde" ein !
Sie setzen sich am frühen (!) Abend an immer denselben Platz und nehmen sich bewusst die Zeit, für 30 oder 60 Minuten intensiv über Ihre Sorgen (und nichts anderes !) nachzudenken. Wenn Ihre Gedanken dann beginnen abzuschweifen, wird auch beim Einschlafen der Druck nicht mehr da sein.
Sollten auch diese Maßnahme zu keinem Erfolg führen und weiter Schlafstörungen und v.a. tagsüber Müdigkeit bestehen, sollten Sie einen Neurologen für eine gründliche Untersuchung und weitergehende Therapievorschläge aufsuchen !