Der 55 jährige, englische Urlauber wird von seinem Hotel bzw. dem hinzugerufenen Arzt an uns vermittelt. Am Vortag war ihm ein leichter Schmerz hinter dem rechten Ohr aufgefallen, am Abend sei beim Zähneputzen und Mundspülen Wasser aus dem rechten Mundwinkel ausgetreten. Heute morgen sei er beim Blick in den Spiegel erschrocken. Die gesamte rechte Gesichtshälfte ist schief, der Mundwinkel hängt nach unten, er kann das rechte Auge nicht mehr vollständig schließen. Die rechte Stirn ist glatt und lässt sich auch andeutungsweise nicht mehr runzeln. Ähnliche Symptome kenne er von seiner Großmutter, die einen "stroke" (engl. für Schlaganfall) erlitten habe.
Diagnose: Idiopathische Facialisparese
Die einseitige Gesichtslähmung tritt häufig im Frühjahr und Frühsommer auf. Verantwortlich ist vermutlich ein Virusinfekt, in vielen Fällen wohl durch das Herpes simplex Virus. Die in Gang gesetzte Entzündung führt zu einer Schwellung des Nerven, der die Gesichtsmuskulatur versorgt (Nervus facialis). Dieser läuft durch einen engen Knochenkanal, die fehlende Ausweichmöglichkeit führt zu einem Druckanstieg, welcher schließlich die Nervenfunktion außer Gefecht setzt - es kommt zur Lähmung ( = Parese) der Gesichtsmuskulatur.
Wichtig die möglichst frühzeitige Behandlung mit hoch dosiertem Cortison über einige Tage. Dadurch wird die Entzündungsreaktion gebremst und die Schwellung vermindert, was eine dauerhafte Schädigung des Nerven verhindern kann. Die gleichzeitige Behandlung mit antiviralen Medikamenten hat dagegen bisher keinen Effekt gezeigt.
Andere Ursachen müssen ausgeschlossen werden. So spricht ein begleitender, starker Ohrschmerz für einen anderen Virusinfekt (Herpes zoster Virus), der unbedingt mit Virus-hemmenden Substanzen behandelt werden muss. Auch eine Zecken-vermittelte Borrelieninfektion muss (vor allem bei Kindern) ausgeschlossen werden.
andre
Klar, immer wenn Ärzte keinen Rat wissen, geben sie Kortison.
Es gibt aber keine Beweise für erine erfolgreiche Behandlung mit Kortison.
Dr. Ippisch Richard
BeitragsautorEs stimmt, Cortison kann eine nicht ungefährliche Behandlung sein. Wie so oft im Leben kommt es aber auf die Menge und die Art der Anwendung an. Zum Beispiel sind schon viele Leute an zu viel Wasser verstorben, trotzdem trinken wir es alle. Bei der Gesichtslähmung ist die (kurzzeitige !) Cortisonbehandlung ein Segen, sie kann nämlich eine dauerhafte Entstellung der Gesichtszüge verhindern. Eine wissenschaftliche Analyse von insgesamt 18 Untersuchungen zum Cortison bei idiopathischer Facialisparese an zusammen fast 3000 Patienten konnte sehr wohl eine Wirkung auf die Besserungsrate nachweisen.