Stellen Sie sich einmal vor, Sie wären selbst betroffen. Sie wissen schon selbst, dass Ihr Gedächtnis nicht mehr so funktioniert wie früher. Sie müssen sich aber immer wieder Sätze anhören wie: „Das habe ich dir doch gerade erst gesagt!“ oder „Das haben wir doch gestern erst besprochen!“. Sie aber könnten schwören, dass Sie von all dem noch nie etwas gehört haben. Noch schlimmer: Man lässt Sie manche Dinge einfach nicht mehr machen aus Angst, Sie könnten einen Fehler machen, eine Herdplatte angeschaltet oder ein Becken überlaufen lassen. Alle machen sich irgendwie Sorgen um Sie, oft fühlen Sie sich behandelt wie ein kleines Kind.
Wie würden Sie reagieren? Fröhlich und gelassen? Dankbar, dass man Sie auf Ihre Fehler hinweist und Sie ständig korrigiert? Oder wären Sie doch eher ungehalten, frustriert und würden auch mal laut? Was würde das mit Ihrem Selbstwertgefühl machen? Wären Sie noch so selbstbewusst wie früher im Umgang mit anderen oder würden Sie eher unsicher werden und sich zurückziehen?
Menschen mit einer Demenz und einer durch die Krankheit bedingten Gedächtnisstörung machen diese Erfahrungen tagtäglich. Von der Krankheit sind besonders die Gehirnareale betroffen, die normalerweise neue Informationen abspeichern. Die zuständigen Hirnzellen sterben ab, die betroffenen Regionen schrumpfen und funktionieren nicht mehr.
Alles was man den Betroffenen sagt bleibt – bildlich gesprochen - nicht mehr im Behälter, sondern läuft einfach durch - wie durch ein Sieb. Alles Üben und Lernen macht deshalb keinen Sinn mehr, denn es kann einfach nichts mehr hängen bleiben.
Sehr wohl nehmen die Betroffenen aber den immer wieder offenen oder unterschwelligen Vorwurf wahr, schon wieder versagt zu haben. Da aber auch das denkende Verstehen der eigenen Situation durch die Krankheit beeinträchtigt ist, bleibt den Patienten oft nur eines: ohnmächtige Frustration.
Die Patienten reagieren hierauf unterschiedlich, die einen werden wütend und aggressiv, andere ziehen sich zurück, werden depressiv und apathisch. Es kommt zu den sogenannten „Verhaltensstörungen bei Demenz“, die zum Teil durch die Erkrankung selbst bedingt sind, oft aber auch eine hilflose Reaktion auf die eigene Situation und das Verhalten der Umwelt darstellen.
Für die Angehörigen eines Demenzkranken sind es aber gerade diese Verhaltensstörungen, die den Umgang mit den Patienten so schwierig und belastend werden lassen. Sie fühlen sich oft ebenfalls hilflos, überfordert und alleine gelassen.
Das Wissen um einige einfache Verhaltensregeln kann jedoch oft die Situation entschärfen, den Umgang mit Demenzpatienten erleichtern und das Auftreten der Verhaltensstörungen verringern.
Um den folgenden Text gut lesbar zu halten wird nur von dem Patienten gesprochen, gemeint sind damit natürlich Patientinnen und Patienten.
Einfache Regeln zum Umgang mit Verhaltensstörungen bei Demenz
- Versetzen Sie sich immer wieder einmal in die Lage des Patienten – so wie oben geschildert. Der Wechsel der Perspektive kann einem helfen, die Reaktion des Betroffenen besser zu verstehen.
- Versuchen Sie es zu vermeiden, den Patienten immer wieder auf seine Fehler hinzuweisen. Sagen Sie nicht „das habe ich dir doch schon gesagt“, sondern wiederholen Sie einfach mit kurzen, gut verständlichen Sätzen was - genau - jetzt gemacht werden soll.
- Vermeiden Sie das Üben von eigentlich überflüssigen Fähigkeiten. Der Patient muss (und kann!) sich das aktuelle Datum und auch die Namen von Personen einfach nicht mehr merken. Alles Üben ändert daran nichts, es ist also auch nicht seine Schuld, wenn er sich den Frust ersparen will.
- Versuchen Sie Ihren Tonfall zu kontrollieren. Die Patienten reagieren sehr sensibel auf jede genervt höhere Tonlage. Sprechen Sie langsam, in kurzen Sätzen und mit sonorer Stimme, das schafft Vertrauen und vermeidet Widerspruch und aggressives Verweigern.
- Führen Sie einen gemeinsamen Kalender für wichtige Termine und weisen Sie den Patienten erst dann auf den Termin hin, wenn konkrete Aktivitäten erforderlich werden. Sie können ihn aber allgemein darauf hinweisen, dass in diesem Kalender alle anstehenden Termine vermerkt sind, so dass er selbst nachsehen kann, wenn er möchte.
- Bieten Sie zusätzliche Hilfen an, wenn nötig. Beschriften Sie die Türen (z.B. WC) und Schränke, schreiben Sie Hinweiszettel. Sorgen Sie dafür, dass der Patient in allen benutzten Kleidungsstücken immer einen Zettel mit der eigenen Adresse mit sich trägt.
- Vermeiden Sie Diskussionen über Sachverhalte. Sie werden den Patienten nicht überzeugen, er wird sich auf seine einmal eingenommene Position in jedem Fall versteifen, weil er sich erstens nicht immer bevormunden lassen will und zweitens oft auch Ihre Argumente gar nicht mehr durchdenken kann.
- Sollte der Patient im Gespräch falsche oder real unmögliche Dinge erzählen, dabei z.B. Traum und Wirklichkeit vermischen, vermeiden Sie es, emotional ablehnend zu reagieren und ungläubig zu widersprechen. Versuchen Sie zunächst, mitfühlend Anteil an seiner Gefühlswelt zu nehmen. Dies schafft Vertrauen und ein Gefühl der Sicherheit. Lenken Sie dann das Gespräch auf andere angenehmere Themen, so dass die belastenden Gedanken durch die Gedächtnisstörung auch wieder vergessen werden können.
- Sollte es zu einem Streit mit drohender aggressiver Eskalation kommen, verlassen Sie den Raum. Machen Sie sich die Gedächtnisstörung in diesem Fall zunutze, beruhigen Sie sich selbst und betreten Sie den Raum nach 5-10 Minuten wieder so, als wäre nichts geschehen. Beginnen Sie das Gespräch noch einmal neu, wählen einen anderen Ansatz unter Vermeidung von Reizthemen, nicht selten nimmt die Unterhaltung dann einen völlig anderen Verlauf.
- Suchen Sie nach Fähigkeiten, die der Patient noch hat und fördern Sie diese. Vergeben Sie entsprechende Aufgaben indem Sie ihn bitten, Ihnen zu helfen (z.B. einfache Haushalts- oder Gartenarbeiten). Der Patient fühlt sich als Person wahrgenommen und gebraucht, sein Selbstwertgefühl wird gestärkt.
- Vermeiden Sie Tätigkeiten, die der Patient nicht mehr kann bzw. nehmen Sie ihm diese möglichst kommentarlos ab und geben ihm dafür ggf. eine andere Aufgabe. Dem Patienten gezielt vorzuführen, dass er etwas nicht mehr kann ist ein aggressiver Akt, so dass man sich nicht wundern muss, wenn er darauf selbst aggressiv reagiert.
- Vermeiden Sie Gespräche über aktuelle Themen, zu denen der Patient nichts beitragen kann, da er die jüngsten Ereignisse nicht kennt oder bereits wieder vergessen hat. Wenn nötig, erzählen Sie ihm wichtige aktuelle Ereignisse ruhig immer wieder neu (ohne Hinweis darauf, dass Sie es ihm schon mal erzählt haben), um ihn dann erst nach seiner Meinung zu fragen.
- Jede Verhaltensstörung lässt sich bessern, wenn Sie den Patienten in ein Gespräch verwickeln, in dem er sich selbst wohl fühlt. Sprechen Sie mit ihm über alte Zeiten, lassen ihn erzählen, auch wenn Sie die Geschichten schon kennen (er kann sich nicht erinnern, Sie Ihnen schon erzählt zu haben). Gehen Sie mit ihm alte Fotos durch, so dass alte (oft noch vorhandene) Erinnerungen geweckt werden und der Patient das Gefühl hat, aktiv an der Unterhaltung teilnehmen zu können. So geben Sie ihm das für ihn so selten gewordene Gefühl, für andere noch interessant zu sein.