Liebe Leserin, lieber Leser,
halten Sie die ärztliche Schweigepflicht grundsätzlich für sinnvoll und schützenswert?
Wir und unsere Patient(in)en machen uns hierzu inzwischen große Sorgen.
Der Bundestag hatte kurz vor Weihnachten 2023 die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) für gesetzlich versicherte Patienten beschlossen, ohne dass dies in der Öffentlichkeit umfassend diskutiert wurde. Die ePA soll jetzt ab 2025 mit (Ihren!) Daten befüllt werden.
Das bedeutet, dass Ärzte in Zukunft alle Untersuchungsergebnisse und Diagnosen in einer zentralen Daten-Cloud speichern müssen.
Es wird behauptet, dass nur Berechtigte Zugriff darauf haben werden. Allerdings konnten (noch gutartige) Hacker vom Chaos-Computerclub vor kurzem bereits ohne große Probleme auf Daten in den Akten zugreifen (s. Artikel in "heise online").
Wie können Sie als Patient(in) sicherstellen, dass Ihre Daten auch in Zukunft geschützt bleiben?
Das Problem sehen wir im eingeführten „Opt-Out“-Verfahren:
Patienten müssen aktiv bei ihrer Krankenkasse gegen ihre eigene ePA Widerspruch einlegen. Andernfalls werden automatisch alle ihre Daten gespeichert.
Man kann vermuten, dass viele Versicherte das aus Unwissenheit oder Bequemlichkeit nicht tun werden.
Gesundheitsunternehmen, Krankenkassen, Versicherungen, die Wissenschaft und auch die Politik selbst - alle sind interessiert an der Auswertung von Gesundheitsdaten (siehe P.S.). Abgelehnte Stellengesuche, verweigerte Kredite und höhere Versicherungs- und Krankenkassenbeiträge (wegen Risikogruppe!) sind da noch die harmloseren, möglichen Folgen. Eine autoritär agierende Partei könnte irgendwann mitregieren und Zugriff auf die Daten haben. Die falschen Leute könnten so erfahren, welche als Druckmittel geeigneten „Schwächen“ man hat.
Kriminelle Hacker sind eine weitere, erhebliche Gefahr. Regelmäßig dringen sie in Datenbanken von Unternehmen, Behörden und auch Krankenkassen ein. Immer geht es dabei um Erpressung. Man könnte von Ihnen zum Beispiel Geld verlangen, damit Ihr Chef, Ihre Nachbarn und Kollegen nicht von Ihren intimsten Gesundheitsdaten erfahren.
Wir Ärzte sind nicht gegen rasch verfügbare, digitale Patientendaten, ganz im Gegenteil, diese würden unsere Arbeit enorm erleichtern.
Wir bevorzugen aber eine Lösung, bei der Patienten ihre medizinischen Unterlagen sicher und einfach, beispielsweise auf der Krankenversicherungskarte, speichern können. Sie als Patient(in) würden die volle Kontrolle behalten, wer die Unterlagen zu sehen bekommt. Für Forschungsvorhaben könnten Sie dann nach ausreichender Aufklärung (so ist es auch bisher üblich) Ihre Daten freiwillig zur Verfügung stellen.
Man verspricht uns, für die Auswertung der ePA nur "pseudonymisierte" Daten zu verwenden. Aber: wie anonym sind diese Daten wirklich, wenn auf jedem Ihrer hochgeladenen, medizinischen Dokumente Ihr Name und Ihr Geburtsdatum vermerkt sind und zunehmend die künstliche Intelligenz bei der Auswertung und Verknüpfung von Daten zum Einsatz kommt?
Die für die Einführung der ePA verantwortlichen Gesundheitsminister ehemals Spahn (CDU) und jetzt Lauterbach (SPD) betonen in der Öffentlichkeit, die ePA werde sicher sein. Unabhängige IT-Spezialisten, wie der Chaos-Computerclub, warnen aber eindringlich vor den Risiken solcher zentralen Datenbestände auf die jeden Tag Tausende von Arztpraxen einfachen Zugriff haben sollen (siehe P.S.).
Als Ärzte sind wir verpflichtet, Schaden von unseren Patienten abzuwenden, und das betrifft auch den Umgang mit Ihren Gesundheitsdaten. Ein breiter Widerspruch gegen die ePA könnte die Politik dazu bewegen, eine sicherere und patientenfreundlichere Lösung zu finden.
Überlegen Sie sich daher, bei Ihrer Krankenkasse rechtzeitig (das heißt: jetzt!) Widerspruch gegen die ePA einzulegen.
Das Deutsche Psychotherapeuten Netzwerk stellt ein Muster-Formular zur Verfügung, das Sie verwenden können: www.dpnw.de, dort finden Sie auch eine Adressliste aller Krankenkassen.
Bitte engagieren Sie sich selbst aktiv für den Schutz Ihrer persönlichen Daten und Ihrer Privatsphäre!
Nur wenn das möglichst viele machen, werden wir gemeinsam etwas ändern können.
Dr. Richard Ippisch
Dr. Martina Mennicken
PD Dr. Astrid Röh
Dr. Elisabeth Schmölz
Dr. Kristina-Marija Strube
Dr. Heike Thoma
Unser Anliegen unterstützen und mit unterzeichnen möchte
PD Dr. Wolfgang Strube, stellvertretender Leiter der Psychiatrischen Universitätsklinik Augsburg
P.S.Wenn Sie sich genauer über die Marktinteressen an Gesundheitsdaten informieren möchten, empfehlen wir Ihnen die Videodokumentation: "Nackt in der Gesundheitscloud - Wie unsere Körper und Biodaten zum Rohstoff und zur Ware werden." des Wirtschaftsjournalisten Norbert Haering vom Handelsblatt
Ein Artikel zu den kürzlich aufgedeckten Sicherheitsmängeln der elektronischen Patientenakte:
Große Sicherheitsmängel in elektronischer Patientenakte 3.0 aufgedeckt